BUND Landesverband Sachsen

Ein Land, das sich neu erfand

- Spoken Words von Jessy James LaFleur -

Jessy James LaFleur©Ahoi Laden // Paul Glaser

Willkommen in einem Land, das eigentlich keins ist, in einer Provinz, die keine Hauptstadt braucht, weil Europa sich hier längst Zuhause fühlt.

Grüne Hügel und endlose Felder, soweit das Auge reicht, umsäumt von Grenzen und doch grenzenlos, liegt ein “Unbezahlbarland” im regionalen Nirgendwo.

Willkommen in der Lausitz, wo der Weg meist nach Außen streift, auf Bahnsteigen, die sich von der Natur zurückerobern lassen, an Bushaltestellen, die keinen Bus mehr erwarten. Wo Wege zu Wäldern mutieren und Straßen im Nichts verschwinden, wo alte Strukturen einfach nicht aufbrechen, in einer Provinz, die keine Hauptstadt braucht, weil sie der Hauptstadt nicht mehr traut.

Hier heißt es eher selten “Willkommen”, noch viel öfter “Lebwohl”, die Abwanderung, das wohl härteste Perspektivs-Los, in einer Heimat, die kaum bis keine Gründe findet, damit die jungen Tüchtigen die Wege in die Großstädte nicht antreten. Aus Leipzig, Dresden, Berlin und dem “Westen” kehren viele nie wieder zurück, weil es aussichtslos wirkt, sich hier niederlassen zu müssen. Ohne Perspektiven beginnen Städte zu schmelzen, halbieren sich, bauen Wohnraum zurück. 

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Es riecht nach Melancholie und Müdigkeit in den Lüften, weil hier keiner so richtig weiß, wo man anfangen müsste, drum hält die Region vehement am Altbekannten fest. Weil man Angst hat; Angst vor dem Verlust des hart verdienten Luxus und den über Jahre angesparten Privilegien, keiner will den ersten Schritt machen müssen, keiner will etwas aufgeben, aber alle wollen gut leben.

Da stehen sich Mensch und Natur gegenüber, starren sich an, versuchen zu verstehen, wie es soweit kam; Der Boden gebrochen, mit Löchern übersät, braunes Industriewasser, das die Seen und Flüsse nährt und auf der anderen Seite - der Mensch!

Der nicht versteht, warum nicht alles so bleiben kann, wie es schon immer war.

Ohne Tagebau schaut die Zukunft wenig rosig aus, also wählt die Ignoranz trotzig blau und blickt stolz auf den eigenen Gartenzaun, weil alles, was dahinter liegt mit dem Rauch von Boxberg ganz schnell wieder verfliegt.

Die Inkonsequenz des Einzelnen mündet in den unergründlichen Wegen einer Bundesregierung, die zu feige scheint, um hart durchzugreifen in einem Kampf, der keine Gewinner kennt, sondern nur Verlierer, solange Temperaturen in die Höhe schnellen.

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Aber der Wandel muss her, rasant, in einer Region, die das Malochen besser versteht als Flora und Fauna, in diesen Breitengraden ist selbst die Wende noch spürbar, hier drüben geht es nicht um Innovation und coole Ideen, sondern für viele immer noch ums Überleben.

Ein sorbisches Sprichwort sagt, dass Gott die Erde schuf und der Teufel die Kohle darunter legte. Und ja, das mag er getan haben, aber eine Anleitung zum Ausbuddeln lag nicht daneben, das haben die Erdbewohner*innen schon ganz alleine hinbekommen.

Das schwarze Gold, für das viele ihre Heimat verloren, ihr Haus und Hab und Gut, das vielversprechend für Reichtum sorgen sollte, für Energie, und dies auch immer noch tut.

Ja, man kann dem Teufel die Schuld geben für seine Wahnsinns-Idee, aber es wird schwer ihn für den Klimawandel zu belangen, wenn das so weiter geht ist die Hölle irgendwann sogar kälter, also wie wäre es, wenn wir einfach anfangen würden unser Verhalten zu ändern.

Warum das trotz der lauten Alarmglocken nicht geschieht, verstehe ich nicht.

Aber habe ich jemals an die Menschheit geglaubt? So richtig?

So häufig wie sie durch Egoismus besticht fällt es mir oftmals schwer das Gute zu sehen, und jetzt stehe ich in einer wunderschönen Lausitz, die sich weiter selbst zerstört, obwohl sie neben der Kohle noch ein viel größeres Potential in sich trägt:

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Den Umbruch.

Und für den muss man noch härter schuften, an dem müssen wir uns noch vehementer festkrallen, damit die Abwanderung und das Aussterben der Dörfer endlich aufhört.

Der Anblick des eigenen Gartenzauns mag beruhigend wirken, weil er Sicherheit suggeriert in einer Zeit, die sich wie ein freier Fall anfühlt, aber Kurzsichtigkeit rettet nicht vor Überschwemmungen und Dürre, hier braucht es Weitsicht, um eine Zukunft gestalten zu können.

Eine Zukunft, für die es Gelder benötigt.

Als spülen wir die Förderungen in den ländlichen Raum, für die man Anträge stellen muss, deren Wortlaute so kompliziert formuliert wurden, dass nur die gewieften Geschäftspersonen verstehen, was wirklich dahinter steckt, wie man sie akquiriert und einsetzt.

Die Frage, die sich damit stellt:

Kommt das Geld tatsächlich bei den Menschen an, die am meisten betroffen sind?

Die um ihre Arbeit fürchten und bereits zum zweiten Mal in 30 Jahren einen Wandel hinnehmen müssen, in dem sie schon einmal so viel verloren haben, dass sie nun misstrauisch werden?

Auch ich möchte eine Wende 2.0 und die erneute Ausbeutung der Ostregion nicht miterleben, doch was tut man dagegen?

Wie verteilt man milliardenschwere Beträge an jene Kommunen, die am meisten betroffen sind?

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Wie lockert man festgefahrene Meinungen, die rechte Gesinnung, wie spricht man eine Sprache, die jeder versteht?

Für viele ist das alles hier ist zu groß geworden, dabei war doch alles mal ganz einfach. Aber ein Strukturwandel ist nur dann umsetzbar, wenn wirklich alle mitmachen.

Die Region muss sich öffnen für innovative Ideen und Vertrauen entwickeln in eine grüne, nachhaltige Politik, damit wir irgendwann sagen können:

Willkommen in einem Land, das eigentlich keins ist.

Wo Gott die Erde schuf und der Teufel die Kohle darunter legte, aber die Erde ist uns wichtiger, weil wir eine Landwirtschaft fördern, die uns allen ein gesundes Leben ermöglicht.

Willkommen im Land, dass keine Unterschiede zwischen Männlein, Weiblein und allem dazwischen macht, wo Frauen ganz selbstverständlich in Rathäusern sitzen, weil Gleichberechtigung selbstverständlich ist.

Willkommen im Land, dass seine Jugend schätzt und nicht über sondern mit ihr spricht, moderne Schulen entwickelt, die hausgemachte kluge Köpfe züchtet und alte Trassen wieder errichtet, damit Weggeher zu Rückkehrern werden können.

©kreative-lausitz.de

Willkommen im Land, das Kultur als einen Motor versteht, der Arbeitsplätze generiert, weil es sich lohnt in die vielen kleinen Initiativen zu investieren, die den braunen Raum bunt bemalen, damit sich hier wirklich alle wohl fühlen.

Willkommen im Land, das von der kleinsten Solarzelle bis zum höchsten Windrad seine vier Elemente nutzt, weil wir Nachhaltigkeit brauchen und kein rasantes Wachstum. Die Seen und Flüsse sind frei von Giften und Plastik, weil wir wachsam sind und unseren Lebensstil ändern.

Willkommen im Land, dass seine Menschen nicht zu Arbeitslosen macht, sondern direkt involviert und damit wieder aufbaut, weil wir ihnen das Gefühl geben, dass wir sie in diesem Land der Lausitz tatsächlich brauchen.

Das alles sind Wunschvorstellungen und Hoffnungen, die hier an Ort und Stelle umgesetzt werden könnten, aber nicht indem man nun Gelder statt Kohle verfeuert.

Willkommen im Traumland, das keins ist, aber eins sein möchte.

Werde ich irgendwann wieder an die Menschheit glauben können? So richtig?

Ich weiß es nicht, aber ich will den Glauben nicht aufgeben, deswegen bin ich hier und engagiere mich, sage nicht Lebwohl, obwohl mir so oft danach ist, aber wenn man hier weggeht, muss man sich auch immer fragen, wem man die Region überlässt.

Also ist es wichtig, dass wir miteinander agieren und uns nicht gegenseitig ausspielen, um Mittel für Idiotien auszugeben, vielleicht weil man es kann, aber nicht weil man es benötigt.

2030 scheint so weit weg, aber es liegt näher als man denkt.

Wir haben jetzt und heute eine echte Chance etwas zu erschaffen und zu verändern, und stellt euch mal vor, dass wir damit richtig große Erfolge ernten. Vielleicht heißt es dann irgendwann;

Willkommen in der Lausitz - eine Region, die mutig war und sich dadurch neu erfand.

Mehr zur Künstlerin erfahren Sie hier: jessyjameslafleur.com

Flyer: "oben ohne"

Spoken Words von Jessy James LaFleur - hier ansehen (PDF) oder bestellen

Hintergrund: Das Verbrennen fossiler Energien setzt große Mengen von Treibhausgas frei und ist hauptverantwortlich für die globale Erderwärmung. Hauptquelle: die Kohle. Braunkohle ist der klimaschädlichste Energieträger überhaupt. Und auch die Natur, wie der Wasserhaushalt, wird durch den Abbau der Kohle stark geschädigt. Der BUND setzt sich dafür ein, schnellstmöglich und nicht erst 2030 oder gar 2038 aus der Kohle auszusteigen und die Kohleverstromung durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen.

Alle ökonomischen Planungen müssen darauf ausgerichtet werden und damit vereinbar sein. Eine Erneuerbare-Energien-Vorbildregion Lausitz könnte sogar mehr Wertschöpfung als bislang die Kohle generieren, wie in einer ausführlichen Studie für die Bundesregierung vorgerechnet wurde.

Hintergrund: Die Lausitz steht vor einem Aus der Kohle. Mit dem Strukturstärkungsgesetz wurden Gelder zur Verfügung gestellt, um die Regionen auf die Herausforderungen des Kohleaus‘ vorzubereiten. Die Komfortzone zu verlassen bedeutet, Mut zu haben und Unsicherheiten zu überwinden und Möglichkeiten zu sehen, die das Leben bietet.

Hintergrund: Auch die Natur wird durch den Abbau der Kohle stark geschädigt. Infolge der großflächigen Trockenlegung beim Abbau der Kohle kommt es zu einer Belüftung der Bodenschichten. Die Folge ist eine Pyritverwitterung, die beim Wiederanstieg des Grundwassers zur Freisetzung vor allem von Sulfat- sowie Eisen- und Wasserstoffionen führt. Letztere führen zu einer Versauerung des Wassers. Sobald der Grundwasserspiegel soweit steigt, dass er wieder die Oberflächengewässer speiste, taucht in diesen ein ockerfarbener Schlamm auf. Das Phänomen wurde als Braune Spree bekannt und ist für die Ökosysteme in Gewässern eine Katastrophe. Der Sauerstoff im Wasser wird knapp, der feine Schlamm setzt sich in den Kiemen der Wassertiere ab, Tiere und Pflanzen sterben. Mehr dazu

Hintergrund: In der Lausitz leben ca. 40.000 Sorben. Die Sorben sind eine westslawische Ethnie, die vorwiegend in der Lausitz im östlichen Deutschland lebt. Die Sorben sind in Deutschland als nationale Minderheit anerkannt. Sie haben neben ihrer eigenen Sprache eine offiziell anerkannte Flagge und Hymne.

Hintergrund: Mit dem Strukturstärkungsgesetz wurden Gelder zur Verfügung gestellt, um die Regionen auf die Herausforderungen des Kohleaus‘ vorzubereiten. Damit ist der Weg frei, um die Lausitz zu einer lebenswerten, wenn nicht gar lebenswerteren Region nach der Kohle aufzubauen. Den Weg dahin bereiten Fördergelder. Hier ist eine gute Übersicht über Fördermöglichkeiten.

Hintergrund: Die Region Lausitz hat mit einer großen Abwanderung und Perspektivlosigkeit zu kämpfen. Rund zehn Prozent der Einwohner tragen sich mit dem Gedanken, die Lausitz verlassen. Das geht aus dem Lausitz-Monitor 2021 hervor. In der Gruppe der 18 bis 29-Jährigen plant sogar fast jede*r Zweite (45 Prozent), der Lausitz innerhalb der nächsten zwei Jahre den Rücken zu kehren.

Hintergrund: Wichtig ist es, die Tatkraft der Menschen, vor allem der jungen Menschen, vor Ort zu entfesseln. Für eine resiliente Wirtschaft in der Lausitz braucht es Diversität, also auch eine Stärkung kleiner und mittelständischer Unternehmen – mit transparenten Beteiligungsprozessen. Durch den demografischen Wandel droht sonst, dass in Zukunft eine große Zahl an Arbeitskräften schlichtweg fehlt.

Mittlerweile gibt es viele Akteure und Initiativen, die sich für eine lebenswerte Lausitz einsetzen. Die kreative-lausitz.de ist ein Verein, der über sich sagt: „Unser Antrieb ist die Lust, gemeinsam mit den Menschen hier in der Lausitz zu arbeiten und zu leben.“ Sie haben das Logo für die Lausitz entworfen: weit. wild. würzig!

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