Ein Land, das sich neu erfand
- Spoken Words von Jessy James LaFleur -
Willkommen in einem Land, das eigentlich keins ist, in einer Provinz, die keine Hauptstadt braucht, weil Europa sich hier längst Zuhause fühlt.
Grüne Hügel und endlose Felder, soweit das Auge reicht, umsäumt von Grenzen und doch grenzenlos, liegt ein “Unbezahlbarland” im regionalen Nirgendwo.
Willkommen in der Lausitz, wo der Weg meist nach Außen streift, auf Bahnsteigen, die sich von der Natur zurückerobern lassen, an Bushaltestellen, die keinen Bus mehr erwarten. Wo Wege zu Wäldern mutieren und Straßen im Nichts verschwinden, wo alte Strukturen einfach nicht aufbrechen, in einer Provinz, die keine Hauptstadt braucht, weil sie der Hauptstadt nicht mehr traut.
Hier heißt es eher selten “Willkommen”, noch viel öfter “Lebwohl”, die Abwanderung, das wohl härteste Perspektivs-Los, in einer Heimat, die kaum bis keine Gründe findet, damit die jungen Tüchtigen die Wege in die Großstädte nicht antreten. Aus Leipzig, Dresden, Berlin und dem “Westen” kehren viele nie wieder zurück, weil es aussichtslos wirkt, sich hier niederlassen zu müssen. Ohne Perspektiven beginnen Städte zu schmelzen, halbieren sich, bauen Wohnraum zurück.
Es riecht nach Melancholie und Müdigkeit in den Lüften, weil hier keiner so richtig weiß, wo man anfangen müsste, drum hält die Region vehement am Altbekannten fest. Weil man Angst hat; Angst vor dem Verlust des hart verdienten Luxus und den über Jahre angesparten Privilegien, keiner will den ersten Schritt machen müssen, keiner will etwas aufgeben, aber alle wollen gut leben.
Da stehen sich Mensch und Natur gegenüber, starren sich an, versuchen zu verstehen, wie es soweit kam; Der Boden gebrochen, mit Löchern übersät, braunes Industriewasser, das die Seen und Flüsse nährt und auf der anderen Seite - der Mensch!
Der nicht versteht, warum nicht alles so bleiben kann, wie es schon immer war.
Ohne Tagebau schaut die Zukunft wenig rosig aus, also wählt die Ignoranz trotzig blau und blickt stolz auf den eigenen Gartenzaun, weil alles, was dahinter liegt mit dem Rauch von Boxberg ganz schnell wieder verfliegt.
Die Inkonsequenz des Einzelnen mündet in den unergründlichen Wegen einer Bundesregierung, die zu feige scheint, um hart durchzugreifen in einem Kampf, der keine Gewinner kennt, sondern nur Verlierer, solange Temperaturen in die Höhe schnellen.
Aber der Wandel muss her, rasant, in einer Region, die das Malochen besser versteht als Flora und Fauna, in diesen Breitengraden ist selbst die Wende noch spürbar, hier drüben geht es nicht um Innovation und coole Ideen, sondern für viele immer noch ums Überleben.
Ein sorbisches Sprichwort sagt, dass Gott die Erde schuf und der Teufel die Kohle darunter legte. Und ja, das mag er getan haben, aber eine Anleitung zum Ausbuddeln lag nicht daneben, das haben die Erdbewohner*innen schon ganz alleine hinbekommen.
Das schwarze Gold, für das viele ihre Heimat verloren, ihr Haus und Hab und Gut, das vielversprechend für Reichtum sorgen sollte, für Energie, und dies auch immer noch tut.
Ja, man kann dem Teufel die Schuld geben für seine Wahnsinns-Idee, aber es wird schwer ihn für den Klimawandel zu belangen, wenn das so weiter geht ist die Hölle irgendwann sogar kälter, also wie wäre es, wenn wir einfach anfangen würden unser Verhalten zu ändern.
Warum das trotz der lauten Alarmglocken nicht geschieht, verstehe ich nicht.
Aber habe ich jemals an die Menschheit geglaubt? So richtig?
So häufig wie sie durch Egoismus besticht fällt es mir oftmals schwer das Gute zu sehen, und jetzt stehe ich in einer wunderschönen Lausitz, die sich weiter selbst zerstört, obwohl sie neben der Kohle noch ein viel größeres Potential in sich trägt:
Den Umbruch.
Und für den muss man noch härter schuften, an dem müssen wir uns noch vehementer festkrallen, damit die Abwanderung und das Aussterben der Dörfer endlich aufhört.
Der Anblick des eigenen Gartenzauns mag beruhigend wirken, weil er Sicherheit suggeriert in einer Zeit, die sich wie ein freier Fall anfühlt, aber Kurzsichtigkeit rettet nicht vor Überschwemmungen und Dürre, hier braucht es Weitsicht, um eine Zukunft gestalten zu können.
Eine Zukunft, für die es Gelder benötigt.
Als spülen wir die Förderungen in den ländlichen Raum, für die man Anträge stellen muss, deren Wortlaute so kompliziert formuliert wurden, dass nur die gewieften Geschäftspersonen verstehen, was wirklich dahinter steckt, wie man sie akquiriert und einsetzt.
Die Frage, die sich damit stellt:
Kommt das Geld tatsächlich bei den Menschen an, die am meisten betroffen sind?
Die um ihre Arbeit fürchten und bereits zum zweiten Mal in 30 Jahren einen Wandel hinnehmen müssen, in dem sie schon einmal so viel verloren haben, dass sie nun misstrauisch werden?
Auch ich möchte eine Wende 2.0 und die erneute Ausbeutung der Ostregion nicht miterleben, doch was tut man dagegen?
Wie verteilt man milliardenschwere Beträge an jene Kommunen, die am meisten betroffen sind?
Wie lockert man festgefahrene Meinungen, die rechte Gesinnung, wie spricht man eine Sprache, die jeder versteht?
Für viele ist das alles hier ist zu groß geworden, dabei war doch alles mal ganz einfach. Aber ein Strukturwandel ist nur dann umsetzbar, wenn wirklich alle mitmachen.
Die Region muss sich öffnen für innovative Ideen und Vertrauen entwickeln in eine grüne, nachhaltige Politik, damit wir irgendwann sagen können:
Willkommen in einem Land, das eigentlich keins ist.
Wo Gott die Erde schuf und der Teufel die Kohle darunter legte, aber die Erde ist uns wichtiger, weil wir eine Landwirtschaft fördern, die uns allen ein gesundes Leben ermöglicht.
Willkommen im Land, dass keine Unterschiede zwischen Männlein, Weiblein und allem dazwischen macht, wo Frauen ganz selbstverständlich in Rathäusern sitzen, weil Gleichberechtigung selbstverständlich ist.
Willkommen im Land, dass seine Jugend schätzt und nicht über sondern mit ihr spricht, moderne Schulen entwickelt, die hausgemachte kluge Köpfe züchtet und alte Trassen wieder errichtet, damit Weggeher zu Rückkehrern werden können.
Willkommen im Land, das Kultur als einen Motor versteht, der Arbeitsplätze generiert, weil es sich lohnt in die vielen kleinen Initiativen zu investieren, die den braunen Raum bunt bemalen, damit sich hier wirklich alle wohl fühlen.
Willkommen im Land, das von der kleinsten Solarzelle bis zum höchsten Windrad seine vier Elemente nutzt, weil wir Nachhaltigkeit brauchen und kein rasantes Wachstum. Die Seen und Flüsse sind frei von Giften und Plastik, weil wir wachsam sind und unseren Lebensstil ändern.
Willkommen im Land, dass seine Menschen nicht zu Arbeitslosen macht, sondern direkt involviert und damit wieder aufbaut, weil wir ihnen das Gefühl geben, dass wir sie in diesem Land der Lausitz tatsächlich brauchen.
Das alles sind Wunschvorstellungen und Hoffnungen, die hier an Ort und Stelle umgesetzt werden könnten, aber nicht indem man nun Gelder statt Kohle verfeuert.
Willkommen im Traumland, das keins ist, aber eins sein möchte.
Werde ich irgendwann wieder an die Menschheit glauben können? So richtig?
Ich weiß es nicht, aber ich will den Glauben nicht aufgeben, deswegen bin ich hier und engagiere mich, sage nicht Lebwohl, obwohl mir so oft danach ist, aber wenn man hier weggeht, muss man sich auch immer fragen, wem man die Region überlässt.
Also ist es wichtig, dass wir miteinander agieren und uns nicht gegenseitig ausspielen, um Mittel für Idiotien auszugeben, vielleicht weil man es kann, aber nicht weil man es benötigt.
2030 scheint so weit weg, aber es liegt näher als man denkt.
Wir haben jetzt und heute eine echte Chance etwas zu erschaffen und zu verändern, und stellt euch mal vor, dass wir damit richtig große Erfolge ernten. Vielleicht heißt es dann irgendwann;
Willkommen in der Lausitz - eine Region, die mutig war und sich dadurch neu erfand.
Mehr zur Künstlerin erfahren Sie hier: jessyjameslafleur.com
Flyer: "oben ohne"
Spoken Words von Jessy James LaFleur - hier ansehen (PDF) oder bestellen